Die Camargue – Salz, Sonne, Flamingos

Wilde Pferde, Wein und Mittelmeer

Die Camargue, im Süden Frankreichs zwischen den beiden Mündungsarmen der Rhône gelegen, ist eine der faszinierendsten Landschaften Europas. Nirgendwo sonst verschmelzen Natur, Kultur und jahrhundertealte Traditionen auf so eindrucksvolle Weise.

Foto Sonnenuntergang in der Camargue / Südfrankreich
Sonnenaufgang über Sainte Maries de la Mer

Hier, wo das Land langsam ins Meer übergeht, breiten sich weite Ebenen aus, die vom Wind, vom Wasser und vom Licht geprägt sind. Salzige Sümpfe, rosa Flamingos, schwarze Stiere und weiße Pferde – all das gehört zur einzigartigen Identität dieser Region.

Die flachen und eher reizarmen Landschaften der Camarque sind außergewöhnlich – optisch und in ihrer Stimmung, die sie verströmen.

Doch die Camargue ist mehr als nur ein Naturparadies: Sie ist ein Ort gelebter Geschichte, tief verwurzelter Bräuche und kulinarischer Entdeckungen.

Die Besonderheiten der Camargue

Die Camargue ist kein gewöhnlicher Landstrich. Sie ist vielmehr ein lebendiges Ökosystem, das sich ständig verändert. Durch die Nähe zum Mittelmeer und den Einfluss des Rhônedeltas entstand hier über Jahrtausende eine Landschaft aus Salzlagunen, Marschen und Schilfgebieten. Diese geologischen und klimatischen Bedingungen machten die Camargue zu einem Zufluchtsort für unzählige Tier- und Pflanzenarten, von denen viele selten oder endemisch sind.

Eines der auffälligsten Merkmale der Camargue ist ihre Vielgestaltigkeit. Auf einer Fläche von etwa 930 Quadratkilometern erstrecken sich unterschiedliche Lebensräume: salzhaltige Etangs (Seen), Sümpfe, Dünen, Reisfelder, Weideflächen und mediterrane Buschlandschaften. Diese Vielfalt zieht Naturforscher und Fotografen ebenso an wie Erholungssuchende und Abenteurer.

Charakteristisch für die Camargue sind auch ihre Kontraste. Während im Sommer die Sonne unbarmherzig vom Himmel brennt und das Land in gleißendes Licht taucht, können im Winter kalte Winde wie der Mistral das Gebiet in eine fast melancholische Stille hüllen. Die Camargue lebt von diesen Gegensätzen – von Trockenheit und Feuchtigkeit, von Wildheit und Zartheit, von Mensch und Natur.


Die Landschaft – Wasser, Salz und endlose Weite

Die Landschaft der Camargue lässt sich schwer mit anderen Regionen vergleichen. Es ist ein Ort der Übergänge: vom Süßwasser der Rhône zum Salzwasser des Mittelmeers, vom festen Land zu flirrenden Lagunen. Wer zum ersten Mal hierherkommt, ist überrascht von der Weite und vom Licht, das sich ständig verändert. Morgens schimmert das Wasser silbern, mittags gleißt es weiß, und abends verwandelt es sich in ein glühendes Rosa, wenn die Sonne über den Horizont sinkt.

Die Étangs und Salinen

Die sogenannten Étangs – flache Salzseen – sind das prägende Element der Camargue. Besonders bekannt ist der Étang de Vaccarès, der mit über 6.000 Hektar die größte Wasserfläche der Region bildet. Er steht im Zentrum des Naturparks und ist ein Paradies für Wasservögel. Ringsum liegen unzählige kleinere Lagunen, die mit dem Meer oder der Rhône verbunden sind und sich je nach Jahreszeit verändern.

In den südlichen Teilen der Camargue, besonders um Salin-de-Giraud, wird seit Jahrhunderten Salz gewonnen. Die großen rosa schimmernden Salzfelder, die sich im Sonnenlicht spiegeln, gehören zu den eindrucksvollsten Anblicken der Region. Das Salz wird in riesigen weißen Bergen gelagert, bevor es verarbeitet wird – ein Sinnbild für die Symbiose von Natur und menschlicher Nutzung.

Flora und Fauna der Camargue

Die Camargue ist eines der wichtigsten Feuchtgebiete Europas und ein Rückzugsort für rund 400 Vogelarten. Besonders berühmt ist sie für die Flamingos, die hier in großen Kolonien nisten. Die eleganten Vögel mit ihrem rosa Gefieder sind zu einem Wahrzeichen der Region geworden. Neben ihnen leben hier Reiher, Stelzenläufer, Kormorane und viele andere Wasservögel.

Auch die Camargue-Pferde sind weltbekannt. Diese kleinen, robusten, meist weißen Pferde sind perfekt an das Leben im Sumpf angepasst. Sie leben halbwild in den Ebenen und werden traditionell von den Gardians – den Viehhirten der Camargue – gezüchtet und geritten. Ebenso typisch sind die schwarzen Camargue-Stiere, die für die regionalen Stierfeste gezüchtet werden.

Die Pflanzenwelt der Camargue spiegelt die extremen Bedingungen wider. Hier wachsen salzliebende Gewächse wie Queller, Tamarisken und Strandflieder, aber auch duftender Rosmarin, wilder Thymian und Lavendel an den trockeneren Stellen. Im Frühjahr und Herbst tauchen unzählige Wildblumen die Landschaft in leuchtende Farben.


Wichtige Orte der Camargue

Obwohl die Camargue als Naturraum dominiert, gibt es einige Orte, die besonders eng mit ihrer Geschichte und Kultur verbunden sind. Sie bilden das Herz und die Seele der Region.

Arles – das Tor zur Camargue

Arles, oft als „Tor zur Camargue“ bezeichnet, liegt am nördlichen Rand des Deltas und gehört seit der Römerzeit zu den bedeutendsten Städten Südfrankreichs. Das römische Amphitheater, die Thermen und die antiken Straßen zeugen von einer glanzvollen Vergangenheit. Später wurde die Stadt durch Künstler wie Vincent van Gogh bekannt, der hier zahlreiche seiner berühmten Gemälde schuf.

Arles ist auch kulturell eng mit der Camargue verbunden. Hier beginnen viele Besucher ihre Reise in die Landschaft der weißen Pferde und schwarzen Stiere. Zudem ist die Stadt ein Zentrum der Feria, jener Feste, bei denen Stierkämpfe, Musik und Traditionen zusammenkommen.

Saintes-Maries-de-la-Mer – Pilgerziel und Herz der Camargue

Der vielleicht bekannteste Ort der Camargue ist Saintes-Maries-de-la-Mer, direkt am Mittelmeer gelegen. Das kleine Städtchen ist das spirituelle Zentrum der Region und Ziel einer der außergewöhnlichsten Pilgerfahrten Europas. Jedes Jahr im Mai strömen Tausende von Roma, Sinti und Gläubigen hierher, um die Heiligen Maria Salome und Maria Jakobäa zu verehren. Im Mittelpunkt steht dabei die Schwarze Sara, die Schutzpatronin der Roma. Die Wallfahrt ist ein Fest aus Musik, Tanz, Glauben und Gemeinschaft – ein Höhepunkt im Jahreslauf der Camargue.

Neben der religiösen Bedeutung ist Saintes-Maries-de-la-Mer ein lebendiger Badeort. Die langen Sandstrände, die Nähe zur Natur und das authentische Flair machen ihn zu einem beliebten Reiseziel für Besucher aus aller Welt.

Aigues-Mortes – die Stadt im Salzmeer

Im Westen der Camargue liegt Aigues-Mortes, eine mittelalterliche Festungsstadt, die wie eine Fata Morgana aus den Salzebenen aufragt. Ihre perfekt erhaltenen Stadtmauern und Türme stammen aus dem 13. Jahrhundert, als König Ludwig IX. von hier aus zu den Kreuzzügen aufbrach. Innerhalb der Mauern herrscht eine Atmosphäre aus Geschichte und mediterranem Leben. Kleine Gassen, Plätze, Cafés und Kunsthandwerksläden laden zum Verweilen ein.

Vor den Toren der Stadt breiten sich die Salzgärten aus, die seit Jahrhunderten das wirtschaftliche Rückgrat der Region bilden. Der Anblick der rosa schimmernden Salzfelder gehört zu den unvergesslichen Bildern der Camargue.


Feste und Traditionen

Die Camargue lebt von ihren Traditionen. Sie sind eng mit der Natur, den Tieren und dem Rhythmus des Jahres verbunden. Feste sind hier nicht nur Unterhaltung, sondern Ausdruck von Identität und Lebensfreude.

Die Férias

In vielen Städten des Südens, vor allem in Arles und Nîmes, gehören die Férias zu den wichtigsten Ereignissen des Jahres. In der Camargue sind sie eng mit der Course Camarguaise verbunden – einer regionalen Variante des Stierkampfs, bei dem der Stier nicht getötet wird. Stattdessen versuchen mutige Männer, die sogenannten raseteurs, dem Tier eine Schleife zwischen den Hörnern zu entreißen. Der Stier bleibt unversehrt und wird oft zu einer Art lokaler Berühmtheit.

Während der Feria verwandeln sich die Städte in ein buntes Meer aus Musik, Tanz und Freude. In den Straßen wird gegessen, getrunken und gefeiert, und die Gardians ziehen auf ihren Pferden durch die Gassen, begleitet vom Klang der traditionellen tambourin-Trommeln.

Die Wallfahrt von Saintes-Maries-de-la-Mer

Ein besonderes Ereignis ist die bereits erwähnte Wallfahrt zu den Saintes Maries im Mai. Roma aus ganz Europa reisen in bunt geschmückten Karawanen an, um Sara la Kali zu ehren. Die Statue der schwarzen Heiligen wird in einer feierlichen Prozession zum Meer getragen, begleitet von Liedern, Gitarrenmusik und Gebeten. Das Spektakel ist emotional und tief spirituell – ein Ausdruck gelebten Glaubens und kultureller Vielfalt.

Fêtes votives und lokale Bräuche

In den Dörfern der Camargue finden den ganzen Sommer über kleinere fêtes votives statt – Volksfeste zu Ehren der Dorfheiligen. Dabei gibt es Stierläufe durch die Straßen (abrivados), Reiterumzüge und Tanzveranstaltungen. Diese Feste sind fester Bestandteil des Gemeinschaftslebens und bieten Besuchern einen authentischen Einblick in das ländliche Frankreich.


Typische Speisen und kulinarische Besonderheiten

Die Küche der Camargue ist einfach, ehrlich und geprägt von den Produkten der Region. Sie vereint mediterrane Leichtigkeit mit rustikalem Charme und spiegelt die Nähe von Land und Meer wider.

Reis – das Gold der Camargue

Ein Grundnahrungsmittel der Region ist der Camargue-Reis. Seit dem 19. Jahrhundert wird hier Reis angebaut, begünstigt durch das Süßwasser der Rhône und das warme Klima. Der riz de Camargue ist heute eine geschützte Herkunftsbezeichnung (IGP) und bekannt für seine Qualität und Vielfalt – von weißem über roten bis hin zu schwarzen Sorten. Reis ist Bestandteil vieler regionaler Gerichte, ob als Beilage, in Salaten oder als Grundlage für kräftige Eintöpfe.

Fleisch und Fisch

Typisch für die Camargue ist das Stierfleisch (taureau de Camargue), das von den halbwild lebenden Rindern stammt. Es ist fettarm, aromatisch und wird oft als Schmorgericht zubereitet, etwa in der berühmten Gardianne de Taureau – einem kräftigen Eintopf mit Rotwein, Zwiebeln, Kräutern und schwarzen Oliven. Dazu wird meist Camargue-Reis serviert.

Vom Meer kommen frische Fische und Meeresfrüchte, darunter Doraden, Aale und Miesmuscheln. Besonders beliebt sind gegrillte Sardinen oder Muscheln in Knoblauch und Weißwein – einfache, aber köstliche Gerichte, die das mediterrane Lebensgefühl verkörpern.

Gemüse, Kräuter und Olivenöl

Das milde Klima und die fruchtbaren Böden ermöglichen eine reiche Gemüsevielfalt: Tomaten, Auberginen, Zucchini und Paprika gehören zu den Grundzutaten vieler Speisen. Gewürzt wird mit den typischen Kräutern der Provence – Thymian, Rosmarin, Lorbeer und Lavendel. Natürlich darf auch das Olivenöl nicht fehlen, das in der Camargue in kleinen, aber feinen Mengen produziert wird.

Süßspeisen und Weine

Zum Abschluss eines Essens darf etwas Süßes nicht fehlen. Beliebt sind Fougasse d’Aigues-Mortes, ein luftiges Hefegebäck mit Orangenblütenaroma und Zuckerkruste, oder Crèmes aux œufs, einfache Eierspeisen mit Karamell.

Auch der Weinbau hat in der Camargue Tradition. Besonders in den höher gelegenen Randgebieten werden frische, leichte Weiß- und Roséweine erzeugt, die hervorragend zu den regionalen Speisen passen. Die Appellation Sable de Camargue steht für Weine, die auf sandigen Böden nahe der Küste wachsen und eine zarte, mineralische Note besitzen.


Fazit: Eine Welt zwischen Himmel, Wasser und Erde

Die Camargue ist mehr als nur eine Landschaft – sie ist ein Lebensgefühl. Ihre weiten Ebenen, das Spiel des Lichts, die grazilen Flamingos, das rhythmische Schlagen der Hufe der weißen Pferde – all das prägt den Charakter dieser Region. Sie ist wild und zart zugleich, geheimnisvoll, offen, rau und auf ihre besondere Weise faszinierend schön.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert